Interview mit Mathias Köhler – gelebte Inklusion beim 1.VfL FORTUNA Marzahn

Seit 2014 läuft fast unbemerkt ein dunkelhaariger jüngerer Mann bei vielen Wettkämpfen im orangenen Trikot des 1.VfL FORTUNA Marzahn mit. Richtig einordnen können ihn die meisten nicht, für einen Senior ist er zu jung und zu schnell, aber ganz vorn kommt er meist nicht an. In seiner Altersgruppe hat er nicht viel Konkurrenz, viele haben in seinem Alter die Laufkarriere beendet, andere mit dem Laufen überhaupt noch nicht angefangen. Er trainiert bei Trainer Tobias Singer genauso hart wie seine Teamgefährten, dabei wirkt er nicht wie ein klassischer Langstreckenläufer. Die wenigsten wissen, dass sie es hier mit einem Spitzensportler zu tun haben, einen zweimaligen Teilnehmer der Paralympischen Spiele von Athen 2004 und Peking 2008! Und der Mann hat einen Namen und einen Traum – Mathias Köhler versucht sich seit zwei Jahren im Langstreckenlauf – und er träumt vom Marathon bei den Paralympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro.

Grund genug, diesen Sportler näher kennenzulernen. Ort und Zeit des Interviews sind denkbar schlecht. Beim Marzahner Läufercup wollte Mathias eine neue persönliche Bestleistung im 10000 m – Lauf erzielen. Felix Ledwig und Stefan Bahn hatten das Tempo für ihn gemacht. Nach 5100 m war für Mathias Schluss – es gab Probleme mit dem Mittagessen. Wenig später nahm er sich die Zeit für das Interview.

Mathias, Du hattest schon eine lange Sportkarriere hinter Dir, bevor Du zum 1.VfL FORTUNA kamst. Wie hat das mit dem Sport bei mir angefangen?

Ich habe als Kind schrittweise krankheitsbedingt mein Sehvermögen verloren – jetzt bleiben mir noch 5 %. Dabei wird es wohl bleiben. Begonnen habe ich als Schwimmer – da gewann ich bei den Deutschen Behindertenmeisterschaften in meiner Kategorie allein sechs Goldmedaillen. Danach habe ich von 1998 bis 2005 beim SC Potsdam Goal Ball gespielt. Mit meinem Team war ich mehrfacher Deutscher Meister, dritter bei den EM und fünfter bei den WM und mit dabei bei den Paralympics in Athen. Dann bin ich auf Rudern umgestiegen und nahm hier in Peking bei den Paralympischen Spielen teil, im Vierer mit Steuermann in einem gemischten Boot. Wir haben den vierten Platz belegt, leider kam ich aber nicht zum Einsatz und blieb nur Ersatzmann.

Es ist unglaublich, Du hast da ja schon in drei verschiedenen Sportarten absolute Spitzenleistungen gezeigt, sozusagen ein Supermehrkampf den es in dieser Zusammensetzung nicht gibt! Und wie ging es dann weiter?

Ich hatte Probleme mit der Beinmuskulatur und wollte dann mit 31 Jahren noch einmal ernsthaft eine andere Sportart ausprobieren. Kurz vor dem Rudern hatte ich es schon einmal mit dem Sprint versucht, aber das hatte mich nicht überzeugt. Na ja, ehrlich gesagt, 2009 dachte ich daran mit dem Sport ganz aufzuhören. Aber als ich dann die traumhafte Stimmung bei den Paralympics in London mitbekam war ich traurig, nicht dabei zu sein. Das hat mich wieder motiviert anzufangen.

Wenn ich das so höre – hattest Du da Zeit genug für die Ausbildung?

Ich war ja kein Profisportler. Ich habe studiert und bin Diplom – Wirtschaftsinformatiker. Jetzt arbeite ich in der Bundesdruckerei in Berlin als Projektleiter und Systemtester. Wir stellen Personalausweise und Reisepässe her, auch für das Ausland. Da bin ich manchmal auch dienstlich ziemlich viel unterwegs.

Bleibt da noch Zeit für andere Dinge?

Nein, ich trainiere täglich und habe eine volle Arbeitswoche. Da ich in Berlin – Mitte wohne, kommen auch noch die Anfahrtswege zum Training hinzu.

Du hast Dich jetzt auf vielen Strecken ausprobiert. Was liegt Dir am meisten?

Das hab ich schrittweise getestet. Ich bin sowohl auf der Bahn als auch bei Volks- und Straßenläufen gestartet. Mein Trainer Tobias Singer hat mir dann zum Marathonlauf geraten.

Aber wieso gerade Marathon? Hast Du keine Angst vor Schlaglöchern und ähnlichen Fallen?

Nein, das habe ich bei Straßenläufen schon ausprobiert. Zu schwierig sind für mich Strecken wie der Müggelsee- Halbmarathon. Da habe ich zwar die markierten Wurzeln erkannt, aber die kleineren Wurzeln erlaubten kein normales Laufen. Und dann der Spreetunnel! Der war so dunkel, ich habe da wirkliche Probleme bekommen. Für die Bahnläufe bin ich nicht schnell genug. Bisher habe ich mein bestes Ergebnis im Halbmarathon erzielt (Anmerkung: bei den BBM 2014).

Aber Deine beste Platzierung gab es doch für Dich bei den Internationalen Behindertenmeisterschaften am 19./21.Juni 2015 im Berliner Jahn – Sportpark?

Das stimmt. Ich bin da auf der Bahn in meiner Kategorie (sehbehindert TL 12) auf den 4.Platz im 1500 m Lauf gekommen. Im 5000 m – Lauf war ich dann sogar Zweiter, da hat mich Tobias Singer begleitet.

Aber der ist doch nicht startberechtigt?

Er kam ja auch nicht in die Wertung. Zum Glück konnte ich eine Begleitperson benennen, und mein Trainer hat sofort ja gesagt. Selbstverständlich war das nicht, weil ich da für den PSC Berlin starte. Der 1.VfL FORTUNA Marzahn hat keine Lizenz für den Behindertensport.

Na ja, bisher hatten wir auch noch keine Starter auf dem hohen Niveau. Für die Inklusion sind ja solche Regeln auch nicht förderlich.

Das stimmt. Ich trainiere auch sehr gern mit den nichtbehinderten Sportlern. Aber die Regeln mache ich ja nicht.

Kommen wir noch einmal auf Deine nächsten Ziele zurück, wo wirst Du starten?

Bei der Citynacht am 3.August will ich eine neue Bestzeit im 10 km Straßenlauf aufstellen. Und dann natürlich Ende August bei den BBM im Halbmarathon starten, da springt vielleicht wieder eine Medaille heraus (Anmerkung: hier startet Mathias nicht als Behinderter. 2014 belegte er in der AK M 30 mit 1:26:36 Stunden Platz 2). Und dann im Oktober beim Frankfurt – Marathon. Die Vorgabe des Trainers lautet hier 3 Stunden, vielleicht komme ich darunter.

Reicht das für die Paralympics?

Nein, die Norm wurde bei 2:35 Stunden festgelegt. Eigentlich nicht zu schaffen.

Die Vorgaben für die Teilnahme an internationalen Meisterschaften wurden vom Behindertensportverband so hochgeschraubt, dass sie kaum zu erfüllen sind. Da muss man international schon auf einen absoluten Spitzenplatz stehen, schade.

Siehst Du für Rio noch eine reale Chance?

Ich träume davon.

Bei unserer nächsten Begegnung hat Mathias Köhler bereits eine Vorgabe seines Trainers erfüllt. Er lief bei der Citynacht am 3.August auf die Sekunde die geforderte Zeit von 37:59 min. Da werden die 3 Stunden im Marathon vielleicht auch kein Problem sein. Und nach einem kurzen Gespräch lief er bei rekordverdächtigen Abendtemperaturen mit Mayada Al Sayad noch schnell einen 10 km Lauf durch Biesdorf und das Wuhletal. Sie hat ihren Traum von Rio schon wahrgemacht. Er will ihr folgen, auch wenn vielleicht am Ende die Norm nicht erfüllt wird. Dann war der Weg das Ziel.

Mathias mit Trainer Tobias Singer bei denIDM Leichtathletik 2015 Berlin

Mathias mit Trainer Tobias Singer bei den IDM Leichtathletik 2015 Berlin                         Foto: www.photo-hartmann.de

 

 Interview geführt  von Heinz Nabrowsky