Mustapha El Ouartassy läuft von Sieg zu Sieg und pulverisiert die Streckenrekorde. Der große Beifall beim Müggelsee – Halbmarathon zeigt – er kommt gut an in der Laufszene. Aber wer ist er? Nur wenige wissen, was hinter der Fassade des erfolgreichen Läufers steckt. Im Interview stellt er sich den Fragen von Doris Nabrowsky:
D.N.: Mustapha El Ouartassy, ein klangvoller Name, für Europäer ein Name wie aus einem Märchen. Woher kommst Du?
M.E.: Aus Marokko, aus der Nähe von Agadir. Da bin ich geboren.
D.N.: Marokko ist in Deutschland als Urlaubsland gut bekannt und gilt nicht als Krisengebiet. Was hat Dich bewegt, nach Deutschland zu kommen?
M.E.: Meine Familie ist nicht sehr wohlhabend. Ich habe viele Brüder und meine Mutter musste für uns allein sorgen. So konnte ich nach der Schule (9 Jahre) keinen Beruf lernen und schlug mich mit schlecht bezahlten Hilfsjobs wie z.B. im Bau durch. Eine Perspektive gab es für mich nicht. Ich konnte immer gut Laufen, und habe dann mit 20 Jahren bei einem Volkslauf gewonnen. Da wurde ich entdeckt und hatte einen Manager. Aber ich musste weitestgehend allein trainieren. Ich bin dann bei vielen Läufen z.B. in Spanien, Belgien oder Deutschland gestartet, aber leben konnte ich davon nicht. Ich bin sportlich auch nicht weiter gekommen. Nach sechs Jahren konnte ich im Halbmarathon 1:06 Stunden laufen, das war für mich zu wenig. Deshalb bin ich Ende 2016 nach Deutschland gekommen.
D.N.: Warum bist Du dann gerade nach Berlin gekommen?
M.E. Ich habe hier Freunde und konnte erst einmal bei einer mit gut bekannten Familie unterkommen. Sie haben mir ein Dach über den Kopf und zu Essen gegeben. Sie halfen mir auch bei der Wahl eines neuen Vereins. Im Internet fand ich die Homepage vom 1.VfL FORTUNA Marzahn. Da sah ich, dass es gute Läufer und Trainer gibt und dass Flüchtlinge willkommen sind.
D.N.: Ja, wir haben uns im Januar 2017 im Sportforum kennengelernt. Deine Schwester und ihr deutscher Ehemann hatten Dich begleitet.
M.E.: Es war nicht meine richtige Schwester. Aber sie stammt aus Marokko und war eine sehr gute Sprinterin in der Nationalmannschaft, daher kennen wir uns. Sie ist eine Schwester im Glauben und es war für sie selbstverständlich, mir zu helfen. Das hattest Du falsch verstanden.
D.N.: Ich informierte unseren Lauftrainer Hansi Stephan über Deinen Besuch informiert und er hat sofort ja gesagt. Wenige Tage später hattest Du mit Dennis Krüger, unserem Deutschen Meister im 800 m – Lauf, trainiert.
M.E.: Ja, ein feiner Kerl. Er hat mir sehr geholfen. Es ist so schade, dass er sich kurze Zeit später verletzt hatte. Aber für mich ging es vorwärts. Zu meiner Trainingsgruppe zählt ja auch Mayada Al Sayad, mit der ich mich sehr gut verstehe. Ich habe mich zum ersten Mal in einer Trainingsgruppe sehr wohl gefühlt.
D.N.: Es ging alles sehr schnell – Du hast dann im April 2017 die BIG 25 von Berlin gewonnen und als Du als erster Läufer ins Berliner Olympiastadion einliefst, war Dein Trainer sehr glücklich. Wie ging es weiter?
M.E.: Mein Trainer hat mit mir besprochen, wie ich mich sportlich entwickeln kann. Ich habe gemerkt, dass mir noch einige Grundlagen fehlen. Daran wollte ich arbeiten. Mein Ziel besteht darin, einmal Deutschland international zu vertreten.
D.N.: Aber es gab im Sommer 2017 Probleme?
M.E.: Mein Aufenthalt war befristet und ich hatte große Angst, dass ich wieder zurück nach Marokko muss. Da habe ich die Frist verpasst. Ich habe mich später bei der Ausländerbehörde gemeldet, aber die konnten mir nicht mehr helfen. Sie waren sehr freundlich, haben aber gesagt, ich kann nur in Marokko eine erneute Einreise beantragen. Aber ein Anwalt hat mir abgeraten, auszureisen. Es könnte Sanktionen geben und ich würde über längere Zeit nicht mehr nach Deutschland einreisen können.
D.N.: Dein Trainer glaubt an Dich, und inzwischen nicht nur der. Der Verein hat sich für Dich eingesetzt und an den Innen- und Sportsenator Andreas Geisel geschrieben. Der Berliner Leichtathletikverband hat Dich in dieser Angelegenheit ebenfalls unterstützt. Wie sieht Deine Situation jetzt aus?
M.E.: Seit März 2018 lebe ich bei meiner deutschen Freundin und ihren beiden Kindern. Ich bin ihr sehr dankbar, ohne ihre Hilfe hätte ich es nicht geschafft. Freunde im Verein unterstützen mich finanziell. Die Ausländerbehörde weiß, wo ich wohne und wovon ich lebe. Gerade in diesen Tagen wird die Härtefallkommission entscheiden, ob sie den Senator die Duldung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis empfiehlt. Ich bete jeden Tag darum, dass mir diese Gnade zu Teil wird. Wenn ich nach Marokko zurück müsste, ist meine leistungssportliche Laufbahn beendet. Ich habe dort keine Chance auf eine Wohnung oder einen Job.
D.N.: Du hast bis jetzt sehr viel dafür getan, dass Du hier bleiben kannst. Du sprichst und schreibst sehr gut die deutsche Sprache, besser als die meisten, denen ein Sprachkurs finanziert wird. Aber was willst Du machen, wenn Du Deine sportlichen Ziele nicht erreichst? Und auch eine erfolgreiche Karriere im Sport geht einmal zu Ende!
M.E.: Das weiß ich, und deshalb habe ich den Berufswunsch Altenpfleger zu lernen. Dazu gibt es demnächst die ersten Gespräche. Außerdem arbeite ich schon zusammen mit Dennis Krüger und Ilir Hajredini als Übungsleiterassistent im Flüchtlingssport. Ich werde auch später dem Sport und meinem Verein verbunden bleiben. Durch meine sportlichen Leistungen und durch fleißiges Arbeiten und Lernen kann ich mich bei denen am besten bedanken, die mir geholfen haben, vor allem im Verein.
D.N.: Du hast viele Freunde und kannst sicher sein, die wirst Du so oder so behalten. Inzwischen bist Du für viele Flüchtlingssportler und Migranten ein großes Vorbild geworden. Alle wünschen Dir, dass Du in Deutschland bleiben kannst und Deine Ziele erreichst.
Interview geführt von Doris Nabrowsky